Das Meinungsforschungsinstitut Civey hat vor Kurzem mit 49 Prozent Zustimmung eine relative Mehrheit für die Legalisierung von Cannabis in Deutschland gemessen. Daraufhin haben wir diese Frage nochmal von den traditionellen Instituten Infratest-Dimap und Kantar EMNID untersuchen lassen. Diese haben mit 35 bzw. 34 Prozent viel niedrigere Werte ermittelt!
Seit einigen Jahren gibt der Deutsche Hanfverband entsprechende Umfragen in Auftrag, seit 2014 regelmäßig. 2014 und 2015 hatten wir Infratest-Dimap beauftragt. Dabei war die Zustimmung zur Legalisierung innerhalb eines Jahres von 30 auf 42 Prozent gestiegen. 2010 hatte EMNID noch 19 Prozent ermittelt, wobei die Fragestellung in dem Fall nicht gut vergleichbar war; in dem Fall hatten wir zusätzlich auch Entkriminalisierung der Konsumenten als Antwortmöglichkeit angeboten. Dennoch war der Aufwärtstrend insgesamt so klar und stark, dass es uns zumindest möglich vorkam, dass die Zustimmung weiter stark gestiegen ist, wie die Umfrage von Civey nahe legte.
Das Ergebnis der aktuellen Umfrage von Infratest-Dimap war also zunächst erstmal ernüchternd. Demnach ist die Zustimmung von 2015 zu 2016 um sieben Prozentpunkte auf 35 Prozent gefallen! Das hat uns so überrascht, dass wir das Ergebnis nochmal per Kantar EMNID überprüfen ließen. Mit 34 Prozent Zustimmung wurde das Ergebnis bestätigt, so dass der hohe Wert bei Civey wohl erstmal als Ausreißer zu werten ist.
Wie kommen die Ergebnisse zustande?
Es gibt Unwägbarkeiten bei den jeweiligen Umfrage- und Berechnungsverfahren. Die traditionellen Umfrage-Institute wie Infratest-Dimap und Kantar EMNID machen Telefonumfragen mit gut 1.000 Teilnehmern. Auf dieser Grundlage wird auf die Stimmung in der Gesamtbevölkerung hochgerechnet. Dabei muss berücksichtigt werden, dass am Telefon tendentiell ältere Menschen erreicht werden und solche, die sich weniger im Internet bewegen. Civey dagegen erreicht mit online-Umfragen eher die jüngere Internet-Generation. In beiden Systemen versuchen die Unternehmen, diese Effekte durch geheime Umrechnungs-Formeln zu bereinigen. Hemmungen, über Drogenthemen am Telefon wahrheitsgemäß zu antworten, könnten dabei auch eine Rolle spielen. Theoretisch möglich wäre es also auch, dass Civey mit dem modernen online-System eher richtig liegt als die traditionellen “Telefon-Institute”, zumal bei der online-Umfrage die Zahl der Befragten wesentlich höher liegt. Denn auch die etablierten Institute liegen immer mal wieder falsch. Zum Beispiel hatten sie zuletzt die Wahlergebnisse der AfD deutlich zu niedrig vorhergesagt. Andererseits sind ihre Methoden eben seit Jahrzehnten anerkannt.
Von diesen Systemfragen und Unsicherheiten unabhängig ist aber eines klar: Infratest-Dimap meldet innerhalb eines Jahres einen Rückgang der Zustimmung von 42 auf 35 Prozent – bei praktisch gleichlautender Fragestellung.
Wie kommt der Rückgang zustande und wie ist er einzuordnen?
Zunächst mal klingt ein Rückgang innerhalb eines Jahres um sieben Prozent nach einer sehr schlechten Nachricht. Fakt ist aber auch, dass die Zustimmung zur Legalisierung nach Infratest Dimap mit aktuell 35 Prozent immer noch um fünf Prozent höher liegt als 2014. Es sieht eher so aus, als würde der mehrjährige Trend immer noch nach oben zeigen, mit einem außergewöhnlichen Ausreißer nach oben mit 42 Prozent in 2015.
Dennoch hat uns der Rückgang überrascht. Wir waren davon ausgegangen, dass der Wert in 2016 weiter steigen würde, zumal wir keinen besonderen Rückgang des Medieninteresses registriert haben. Bei genauerer Betrachtung ist es aber durchaus möglich, dass insbesondere seit Beginn der Flüchtlingskrise weniger über Cannabis und Legalisierung berichtet wurde. Zwischen den Umfragen Ende 2014 und Ende 2015, als der Wert so stark gestiegen war, wurde viel über die frisch eröffneten Shops in Colorado berichtet und es gab diverse Talkshows dazu. Auch 2016 beleuchteten die meisten Medienberichte die Legalisierung neutral bis positiv, aber eben womöglich insgesamt seltener; eine Statistik dazu liegt uns nicht vor. Jedenfalls scheint das Interesse in der Bevölkerung am Thema nachgelassen zu haben. Entsprechende google-Anfragen zum Beispiel zu “Cannabis legalisieren” wurden in den 12 Monaten seit der Umfrage 2015 deutlich seltener gestellt als davor.
Auch die Spots des DHV liefen Ende 2014/ Anfang 2015 in den Kinos, gingen durch die Medien und erreichten so mehrere Millionen Bürger. Vermutlich konnte auch dies zu den außergewöhnlich guten Werten der Umfrage von 2015 beitragen. In jedem Fall wäre es wichtig, solche Kampagnen regelmäßig mit hohem Budget durchzuführen, um die Debatte positiv zu beeinflussen.
Die Gegner der Legalisierung haben sich immer mehr auf das Argument der Gefährdung der Jugend fokussiert. Schon die Diskussion um die Legalisierung von Cannabis sei eine Gefährdung der Jugend. Wie die Ergebnisse der verschiedenen Altersgruppen zeigen, scheint das vor allem bei der Elterngeneration zu fruchten. In dieser Gruppe ist die Zustimmung im letzten Jahr besonders stark gesunken.
Auf jeden Fall zeigt sich, dass die Legalisierung kein Selbstläufer ist, sie wird nicht demnächst von allein vom Himmel fallen. Einmal erreichte Zustimmung ist bei vielen Menschen offenbar nicht gleich eine gefestigte Überzeugung, sie schwanken in ihrer Ansicht zu Cannabis und Legalisierung.
Welche interessanten Details lassen sich noch aus den Daten lesen?
Die Umfrageinstitute liefern nicht nur die Endergebnisse der Umfragen, sondern auch Daten zu Region, Alter, Parteienpräferenz, Ausbildung und Beruf, sowie Haushaltsgröße und -einkommen der Befragten. Diese Ergebnisse sind allerdings mit Vorsicht zu genießen, da sie jeweils kleinere Gruppen von Befragten betreffen als die Gesamtmenge der Befragten. Dadurch werden diese Werte weniger repräsentativ, es können sich größere Fehlerquoten ergeben. So ergeben sich teilweise erstaunliche Unterschiede in den Daten von Infratest Dimap und Kantar EMNID, obwohl sie im Gesamtergebnis fast gleich liegen. Es lassen sich hier also nur gewisse Trends ablesen, einige Ergebnisse sind klar nicht repräsentativ!
Ein merkwürdiges Ergebnis ist zum Beispiel, dass Infratest-Dimap mehr Zustimmung in Westdeutschland ermittelt hat (37 vs. 29 Prozent), EMNID aber in Ostdeutschland (32 vs. 42 Prozent). Das kann man also kaum ernst nehmen.
Altersgruppen
Bei den Altersgruppen bestätigen sich die beiden Institute wiederum gegenseitig. Es gibt wieder eine eindeutige Steigerung der Zustimmung zur Legalisierung von Jung nach Alt. In den Vorjahren war die jüngste Gruppe bis 29 bzw. 34 Jahre nicht klar an der Spitze, sondern ähnlich gelagert wie die Altergruppen bis 60. Jetzt liegt die “Jugend” klar an der Spitze der Zustimmung mit 45 bzw. 42 Prozent. Ab 60+ lässt die Zustimmung wie immer deutlich nach, beide Institute ermitteln hier dieses Jahr 25 Prozent. Die Gruppe 60+ lag 2015 zwar bei 33 Prozent und stimmt der Legalisierung dieses Jahr deutlich weniger zu, sie liegt aber dem Gesamttrend entsprechend immer noch deutlich über dem Wert von 2014 (19 Prozent). Das gilt nicht für die Elterngeneration von 30 bzw. 35 bis 59 Jahren. Hier liegen die Zustimmungswerte kaum über dem Niveau von 2014 und von 2015 zu 2016 ist die Zustimmung in dieser Gruppe um etwa zehn Prozent gesunken. Hier zeigt sich vermutlich, dass die Argumente der Legalisierungsgegner wirken, die sich immer mehr auf eine Gefährdung der Jugend fokussiert haben.
Größe der Stadt
Kantar EMNID liefert auch Informationen zur Größe der Stadt, in der die Befragten leben. Sofern man diesen Daten glauben schenken will, ist die Zustimmung in besonders kleinen Orten unter 5.000 und in besonders großen Städten über 500.000 Einwohnern am größten (45 bzw. 38 Prozent). Gerade bei diesen kleinen Städten ist die Zahl der Befragten aber recht klein und von daher mit Vorsicht zu genießen.
Bildung und Einkommen
Seit Jahren konstant ist, dass die Legalisierung mit steigendem Bildungsgrad zunimmt. Bei Menschen mit Hauptschulabschluss melden beide Institute 26 Prozent, bei Abitur 42 bzw. 46 Prozent. Beim Haushaltseinkommen fällt vor allem auf, dass Menschen, deren Haushaltseinkommen gering ist, weniger Zustimmung zeigen. Die Gruppen mit dem jeweils geringsten Einkommen bei den beiden Instituten liegen unter 30 Prozent. Kantar EMNID meldet eine Mehrheit von 51 Prozent bei Haushaltseinkommen von 3.000 bis 3.500 Euro.
Geschlecht
Männer sprechen sich traditionell deutlich häufiger für die Legalisierung aus als Frauen. In den 2016er Umfragen waren es 40 vs. 31 Prozent bzw. 37 vs. 32 Prozent. Der Unterschied ist mit unter 10 Prozentpunkten aber kleiner geworden als in den Vorjahren, als diese Differenz bei 19 (2015) bzw. 15 (2016) Prozent lag.
Parteienpräferenz
Die Angaben zur Parteineigung der Befragten unterscheidet sich dermaßen stark bei Civey, Infratest-Dimap und Kantar EMNID, dass es hier keinen Sinn macht, darauf einzugehen.
Hier die Nachrichten zu den Umfragen aus den Vorjahren, wo jeweils die Dateien zum download bereitstehen:
2010
DHV, 30.07.2010: Laut EMNID-Umfrage ist die Mehrheit der Deutschen für ein liberaleres Cannabisrecht
2014
2015
In den Anhängen stellen wir die vollständigen Ergebnisse 2016 von Infratest Dimap und Kantar EMNID zur Verfügung.
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